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Was würde Taylor Swift tun? BürgerInnenbeteiligung braucht Allianzen


Letzten Monat sind wir wieder gescheitert. Mit Civocracy haben wir ein Bürgerbeteiligungsprojekt in einer kleinen Stadt begleitet. Es war das erste Mal, dass diese Stadt eine digitale Bürger:Innenbeteiligung durchführte, und wir haben sie dabei unterstützt. Das Thema war die Stadtentwicklung in den kommenden Jahren. In der Überzeugung, dass das Thema für alle Bürger:Innen wichtig ist, hatte die Verwaltung die Entscheidung getroffen, auf den digitalen Ansatz zu setzen und unter anderem unsere digitale Bürgerbeteiligungsplattform zu nutzen, um mehr Menschen zu erreichen.


Normalerweise nahmen etwa 10-50 Personen an den Beteiligungsveranstaltungen teil. Wir wollten diese Zahl erhöhen. Und das haben wir getan. Wir haben ein neues Verfahren erarbeitet und eine spezielle Kommunikationsstrategie für das Projekt entwickelt. Und wir haben Ergebnisse erzielt. Wir konnten mehr als 1.000 Teilnehmer gewinnen, also etwa das 30-fache der üblichen Teilnehmerzahl. Die Stadt war mit den Ergebnissen zufrieden, und wir waren es auch.


Aber Moment, habe ich nicht geschrieben, dass wir gescheitert sind? Wenn man es realistisch betrachtet, sind wir das. 1.000 Menschen in einer Stadt mit 20.000 Einwohnern bedeutet, dass die überwältigende Mehrheit nicht teilgenommen hat, obwohl es ein wichtiges Thema war.


Und so ist es schon seit den Anfängen von Civocracy - die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger erscheint nicht zu den partizipativen Konsultationen. Und das geht nicht nur uns so. So gut wie jedes Bürger:Innenbeteiligungsprojekt, scheitert. Wir alle scheitern so oft, dass wir mit Ergebnissen wie dem beschriebenen zufrieden sind. Und das gilt nicht nur für Beteiligungsprojekte. Das gilt auch für die öffentliche Kommunikation.


Egal, wie viel Regierungen und Verwaltungen kommunizieren, die Botschaften kommen nicht so richtig an.


Die Bürger:Innenbeteiligung ändert sich

Jahre- oder gar jahrzehntelang wurde dieses Problem nicht ernst genommen - weil die Nachfrage danach nicht groß genug war. Sicher, es gab Leute in der Verwaltung und der Zivilgesellschaft, die mehr Bürger:Innenbeteiligung und mehr Transparenz forderten, aber der Status quo funktionierte.


Das ändert sich jetzt. Vor allem durch die Bürgerinnen und Bürger.


Die Nachfrage nach Transparenz, Information und Beteiligung ist so groß wie nie zuvor. In einer aktuellen Umfrage von statista gaben satte 81 % der Bürger:Innen an, dass sie sich mehr Beteiligung wünschen. Man sieht es auch in den letzten Wahlkämpfen und bei den jüngsten Projekten: Beteiligung spielt zumindest in der Rhetorik eine riesige Rolle. Es geht darum, die Menschen wieder ins Boot zu holen, indem man sie einbezieht und sie informiert.


Aber auch in den Verwaltungen verändern sich die Menschen. Angetrieben von den Idealen einer jüngeren Generation wächst die Forderung nach mehr Sinn, aber auch nach mehr Transparenz in der Regierungs- und Verwaltungsarbeit..


Es gibt also Menschen auf beiden Seiten, die sich eine umfassendere und transparentere Bürger:Innenbeteiligung wünschen.

Wie kann es dann sein, dass sich nur so wenige Menschen die Mühe machen, die Kommunikation zu verfolgen und an den Bürger:Innenbeteiligungsprojekten teilzunehmen?


Liegt es daran, dass die Menschen die Idee lieben, einbezogen zu werden, aber die tatsächlichen Umsetzung dann doch zu anstrengend finden?


Wenn dies der Fall wäre, wäre Folgendes schwer zu erklären. In den letzten Jahren haben wir in westlichen Gesellschaften einen rapiden Anstieg des politischen Aktivismus erlebt. Die "Friday for Future"-Bewegung hat es geschafft, über 250.000 Menschen zur Teilnahme an einer Klimademo in Berlin 2019 zu bewegen. Ein per Crowdsourcing geplante Festival für Demokratie in Deutschland hat 2 Millionen Euro eingesammelt. Die Black-Lives-Matter-Bewegung mobilisierte Menschen auf der ganzen Welt.


Die Menschen sind also bereit - sie scheinen nur das richtige Format zu brauchen.

Wir glauben, dass Regierungen und Verwaltungen von diesen Beispielen viel lernen können, um ihre Kommunikations- und Partizipationsstrategie neu auszurichten.


Eine Bewegung starten statt "nur" Bürger:Innenbeteiligung

Als erstes müssen wir dazu unsere Perspektive ändern. Öffentliche Kommunikation und Bürger:Innenbeteiligung sind heute meist von Angst getrieben. Ob es nun um Stadtentwicklung, Klimaschutz oder Wirtschaftsförderung geht, in 90 % der Fälle besteht das Hauptziel darin, das Projekt zu "verkaufen". Und diese Denkweise hat schwerwiegende Folgen.


Bei dieser Art von Denkweise werden alle Anstrengungen unternommen, um diejenigen zu erreichen, die gegen das Projekt sein könnten. Die noch nicht überzeugt sind. Der Auslöser ist die Angst vor Menschen, die das Projekt behindern könnten. Klingt nicht sehr aufregend? Nun, genau so unspannend kommt es bei den Menschen an.


Stellen Sie sich vor, Fridays for Future bittet alle, die nicht an den Klimawandel glauben, zu einer Diskussionsrunde. Wie viele Menschen würden tatsächlich kommen und welche Qualität hätte die Veranstaltung?

Was die Menschen tatsächlich antreibt, ist, Teil einer Bewegung zu sein, etwas gemeinsam zu schaffen.


Die Merkmale starker bürgerschaftlicher Bewegungen


Was sind also die Merkmale einer starken Bewegung?

Erstens: Sie ist von einer Mission getrieben. Die Bewegung hat einen klar formulierten Auftrag. Ein Ziel, das inspirierend, aber dennoch erreichbar ist. Der Nordstern, um den sich die Menschen versammeln können.


Sie ist das Zentrum und alles andere richtet sich danach. Es geht nicht um das Budget, nicht um die Ressourcen, sondern um die Aufgabe, die es zu erfüllen gilt. Vielleicht wollen Sie unter die Top 10 der grünen Städte in Europa kommen. Vielleicht wollen Sie ein bestimmtes Niveau der Durchschnittsmiete in Ihrer Stadt erreichen. Die Mission ist individuell, aber Sie brauchen eine. Hat Ihre Stadt eine klare Mission im Zentrum? Wenn nicht, warum dann nicht?


Zweitens: Eine Bewegung ist ein Bündnis. Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund kommen zusammen, um sich für eine Sache einzusetzen und gemeinsam zu arbeiten. Um gemeinsam an einem Projekt zu arbeiten und dieses Gefühl der "Zusammengehörigkeit" zu spüren. Wenn Sie eine unwiderstehliche Sogwirkung erzeugen wollen, müssen Sie Ihre Verbündeten um sich scharen, nicht Ihre Feinde. Das bedeutet nicht, dass alle die gleiche Meinung zu allem haben müssen - aber man braucht ein gemeinsames Gefühl dafür, was man erreichen will, um voranzukommen und eine Gemeinschaft darum herum aufzubauen.


Das mag ein wenig hart klingen. Vielleicht sagt eine kleine Stimme in Ihrem Kopf: "Aber sollten wir nicht auch denjenigen zuhören, die gegen das Projekt sind, zumindest der Inklusion willen?" Ja, das sollten wir auf jeden Fall tun. Aber im Moment schenken wir den Gegnern der Projekte zu viel Gehör, und das muss sich ändern.

Und es geht nicht nur um die Verwaltung und die Bürger:Innen. In einem starken gesellschaftlichen Bündnis finden sich auch lokale Wirtschaftsakteure, die Zivilgesellschaft und Verbände.


Denken Sie nur an die "Scientists for Future", die "Entrepreneurs for Future" in der Klimabewegung. Oder die Unterstützung von Unternehmen wie Airbnb oder Nike für Black Lives Matter. Es ist diese Art der Zusammenarbeit, die eine Initiative in eine Bewegung verwandelt. Denken Sie darüber nach, wer Ihre potenziellen Verbündeten in Ihrer Stadt sind und gehen Sie auf sie zu.


Ungewöhnliche Mentoren für Ihre Beteiligungs-Bewegung

Stellen wir uns vor, Sie folgen diesem Weg. Sie haben Ihre Mission gefunden, Sie haben Ihre Verbündeten um sich geschart, alle sind motiviert und einsatzbereit. Ist die Arbeit damit getan?


Nun, so einfach ist es leider nicht. Jetzt kommt der schwierige Teil. Sie müssen die Bewegung in Gang bringen.


Und dafür raten wir Ihnen, sich an zwei sehr unwahrscheinliche Mentoren zu wenden: Donald Trump und Taylor Swift.


Hört sich verrückt an? Nur auf den ersten Blick.


Werfen wir zunächst einen Blick auf den ehemaligen US-Präsidenten. Ungeachtet dessen, wie Sie zu ihm als Politiker oder Menschen stehen, hat er etwas getan, das sowohl neu als auch erfolgreich war und das Sie sich vielleicht zu eigen machen sollten: Er war durchgehend im Wahlkampfmodus.

Jahrzehntelang funktionierte Regieren in jeder Demokratie gleich: Es gab einen Wahlkampf unmittelbar vor den Wahlen. Nach den Wahlen begann die stille "Arbeitsphase", bis die nächste Wahl anstand und es wieder Zeit für den Wahlkampf war.


Dieser Prozess hat zwar seine Logik, aber er macht jede Bewegung zunichte. Man hat das Gefühl, dass es nach der Wahl nichts mehr zu tun gibt. Der Donald hat es anders gemacht. Bei ihm gab es keine Pause, er hat einfach weitergemacht. Und der Effekt war verblüffend, seine Bewegung hat kaum an Kraft verloren, obwohl die Ergebnisse seiner Arbeit gelinde gesagt fragwürdig waren.


Versuchen wir, Sie davon zu überzeugen, dass alle Beamten wie Donald Trump handeln sollten? Sicherlich nicht. Aber die Einstellung, eine Kampagne durchgehend fortzuführen, kann ein mächtiges Instrument sein, um Ihre Bewegung am Laufen zu halten. Sprechen Sie also über Ihre Ziele - und zwar viel. Zeigen Sie Ihre Fortschritte, auch wenn es nur kleine sind. Seien Sie laut und präsent bei der Verfolgung Ihrer Vision und Mission.


Wenn man sich nun fragt, wie man laut und präsent sein kann, ohne die Rhetorik von Donald Trump zu übernehmen, sollten wir einen Blick auf die zweite Mentorin, Taylor Swift, werfen.


Die Weltstar-Popsängerin ist ein absolutes Genie, wenn es um das geht, was wir Communitycation nennen. Sie bezieht ihre Fans und Follower wirklich in ihre Projekte ein.

So antwortet sie zum Beispiel immer wieder Fans direkt in den sozialen Medien. Oder sie lässt ihre Community entscheiden, was sie auf dem roten Teppich tragen soll - die Vorauswahl der Outfits trifft natürlich sie selbst. 2014 lud sie sogar Fans zu sich nach Hause ein, um ihr neues Album vorab anzuhören und Feedback zu geben. Sie verbindet Kommunikation und Partizipation auf virtuose Art und Weise. Was sie zurückbekam, ist eine ergebene Fangemeinde, die ALLES über sie weiß.


Denn sie hat verstanden, dass wir am besten lernen, wenn wir Teil von etwas sind, Und sie nutzt dies zu ihrem Vorteil.


Auch eine Bürger:Innenbeteiligungsbewegung braucht Führung


Was können wir daraus lernen, wenn es um unsere Bewegung geht? Wir müssen kommunizieren und gleichzeitig einbeziehen.


Aber es muss eine Führungsspitze geben - in unserem Fall die Stadtverwaltung -, die die Vision nie aus den Augen verliert. Die Botschafter des Prozesses. Ohne diese Leitfiguren wird der Bewegung schnell die Puste ausgehen.


Wenn Sie jedoch eine Gemeinschaft oder sogar Fans anstelle von bloßen Empfängern wollen, ist es wichtig, durch Einbeziehung zu kommunizieren. Nutzen Sie Ihre Allianz, seien Sie kreativ, seien Sie menschlich, lassen Sie Ihre Gemeinschaft über bestimmte Elemente entscheiden, beziehen Sie Ihre Gemeinschaft in den Prozess ein und behalten Sie gleichzeitig die Kontrolle darüber.


Und wenn es um die Einbeziehung der Community geht, dann am besten mit Spaß! Man sieht zwei Outfits von Taylor Swift und hat die Macht zu entscheiden, was sie tragen wird. Das macht Spaß! Weil es einfach und leicht ist. Es ist keine offene Frage, keine schwerfällige Diskussion. Es ist eine A- oder B-Frage. Wir Menschen lieben das.


Wenn Sie Ihre Bewegung ins Leben rufen, sollten Sie sich etwas einfallen lassen, was den Leuten Spaß macht, und dafür sorgt, dass sie regelmäßig kommen, damit Ihre Gemeinschaft unterhalten wird und sich engagiert. Lassen Sie sie über den Namen der Bewegung entscheiden. Oder veranstalten Sie einen Wettbewerb, wer in zwei Wochen die meisten Bäume pflanzen kann, oder machen Sie ein Quiz, bei dem der aktivste Teilnehmer ein Mittagessen mit dem Bürgermeister gewinnt. Warum nicht? Die Menschen brauchen etwas, das ihnen Spaß macht, und sie die Informationen automatisch verinnerlichen lässt.


Das bedeutet nicht, dass alles nur oberflächlich sein muss. Natürlich müssen ernste Angelegenheiten ernsthaft und gründlich diskutiert werden. Aber nicht immer, sondern nur wenn wirklich nötig und sicher nicht am Anfang des Projekts.


Wenn Sie also Ihre Bewegung starten, fragen Sie sich, "was würde Taylor tun". Das könnte Ihnen genau die richtige Perspektive geben.


Welches Thema hat Ihre bürgerschaftliche Bewegung?

Wir hoffen wirklich, dass Sie die Idee der kontinuierlichen Kampagne und Communitycation als Teil der öffentlichen Kommunikation und Bürger:Innenbeteiligung spannend finden. Und vielleicht erwägen Sie, ein solches Projekt in ihrer Stadt zu starten. Wenn ja, würden wir uns sehr freuen. Aber natürlich beginnt alles mit einem ersten Schritt.


In diesem Fall kommen wir auf die Frage nach der Mission zurück. Welches ist das Thema, das das breiteste Bündnis der Stadt an einen Tisch bringen könnte, um zusammenzuarbeiten und einen konkreten Wandel zu bewirken?


Wir gehen davon aus, dass Sie bereits wissen, was die beste Mission für Ihre Stadt wäre, aber falls nicht, haben wir einen Vorschlag: In einer aktuellen Studie von More In Common kam heraus, dass 80 % der Deutschen wollen, dass die Regierungen mehr gegen den Klimawandel unternehmen.


Und wenn Sie Hilfe bei der Umsetzung benötigen, melden Sie sich doch einfach bei uns. Per Mail an contact@civocracy.org








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