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Drei unbequeme Wahrheiten über Bürger:Innenbeteiligung, die Sie kennen sollten

In den Standard-Leitlinien zur Bürger:Innenbeteiligung fehlen einige Aspekte, die Projektleiter:Innen auf jeden Fall kennen sollten. Diese unbequemen Wahrheiten sind wie die Kehrseite der Medaille. Doch so negativ sie auch sind, es gibt Möglichkeiten, mit ihnen umzugehen.

Jeder, der sich mit dem Thema Bürger:Innenbeteiligung befasst, stößt sehr bald auf Leitfäden aus verschiedenen Quellen stoßen, die sich ziemlich ähnlich anhören.


Der Grund ist, dass sich die Expert:Innen (auch wir) einig sind, dass es einige Bereiche gibt, die man berücksichtigen muss, wenn man ein erfolgreiches Beteiligungsprojekt durchführen will. Es gibt entsprechend unzählige Listen mit wichtigen Punkten, und diese Listen sehen sich sehr ähnlich. Die wahrscheinlich am häufigsten erwähnten Aspektensind:

  • Transparenz - kommunizieren Sie klar und deutlich über den Aufbau, das Ziel, die Möglichkeiten und die Grenzen Ihres Projekts, um keine falschen Erwartungen zu wecken. Auch wichtig: wie werden persönliche Daten und die Beiträge verarbeitet

  • Diversität- binden Sie Menschen mit unterschiedlichem Lebenshintergrund ein, um ein umfassendes Bild zu erhalten

  • Verantwortung - hören Sie den Bürger:Innen und Interessengruppen zu, antworten Sie und halten Sie Ihre Versprechen ein

  • Zugänglichkeit - die Teilnahme muss für alle Menschen so unkompliziert wie möglich sein


Folglich könnte man sich fragen: Wenn jeder weiß, was zu tun ist, warum werden dann so viele Beteiligungsprojekte ihrem Potenzial nicht gerecht? Denn seien wir ehrlich, es klafft eine große Lücke zwischen dem allgemeinen Wunsch, sich zu beteiligen, und der tatsächlichen Zahl der Mitwirkenden in konkreten Projekten (mehr Gedanken zu diesem Thema hier)


Wir glauben, ein Grund dafür ist, dass die Standard-Leitlinien wie oben beschrieben unvollständig sind. Es ist richtig, dass diese Punkte das Rückgrat eines erfolgreichen Beteiligungsprojekts bilden. Das Gute an ihnen ist auch, dass sie so unstrittig sind. Wir können uns alle so leicht auf sie einigen, dass sie schon beim Lesen ein gutes Gefühl vermitteln. Es ist eine gute Welt, die wir aufbauen, und alle sind glücklich.


Leider gibt es daneben einige unbequeme Wahrheiten, die uns kein gutes Gefühl geben. Sie zeigen eine Realität auf, die schwieriger, komplexer und manche würden sagen, negativer ist,


Wenn wir diese Wahrheiten jedoch ignorieren, können wir so transparent, diversifiziert, verantwortungsbewusst und zugänglich sein, wie wir wollen, und trotzdem scheitern. Wir glauben daher, dass es an der Zeit ist, drei dieser Wahrheiten zu benennen und gleichzeitig eine Idee zu entwickeln, wie man mit diesen Problemen umgehen kann.


Wahrheit Nr. 1 - Keiner interessiert sich für Ihr Projekt

Das ist hart, aber wesentlich. Ja, was Sie tun, kann schwerwiegende Auswirkungen auf das Leben Ihrer Stakeholder haben - vor allem, wenn Sie im öffentlichen Sektor angesiedelt sind. Das bedeutet jedoch nicht, dass sich die Menschen tatsächlich für Ihr Projekt und dessen Erfolg interessieren, geschweige denn bereit sind, sich daran zu beteiligen. Sicherlich werden die Menschen protestieren, wenn ihnen das Projekt oder seine Auswirkungen nicht gefallen - zu allem Übel geschieht dies oft, wenn die Entscheidungen bereits getroffen sind. Sie wollen aber, dass die Stakeholder:Innen einen positiven und konstruktiven Beitrag leisten, und das wird in den meisten Fällen nicht der Fall sein, nur weil Sie es anbieten.


Sie müssen Ihre Stakeholder für Ihr Projekt begeistern. Für den/die wichtigsten Stakeholder:In verwenden wir gerne unser CivoStoryScript. Mit diesem Tool bauen wir eine überzeugende Erzählung auf, in der diese/r wichtige Stakeholder:In (meist der/ die Bürger:In) der/die Held:In der Geschichte ist. Wir haben diese neue Methode bei mehr als einem Dutzend Kund:Innen eingesetzt und bemerkenswerte Erfolge erzielt.


Diese "Heldenerzählung" dient nicht nur dazu, das Ganze unterhaltsam zu gestalten. Es geht vielmehr darum, dem Publikum eine aktive Rolle in Ihrem Projekt zu geben, so dass es einen Beitrag leisten und es mitgestalten kann. Wenn es nicht als ihr eigenes Projekt wahrgenommen wird, werden sich die Stakeholder:Innen auch weiterhin nicht wirklich dafür interessieren. Die Teilnahmequote wird niedrig bleiben und die Einstellung gegenüber dem Projekt wird negativ bleiben.


Wenn Sie jedoch eine starke Heldengeschichte um Ihre Stakeholder:Innen aufbauen, die sich im Beteiligungsprozess widerspiegelt, wird sich Ihr Projektthema von all den anderen abheben, die um die Aufmerksamkeit Ihrer Stakeholder:Innen buhlen.


Wahrheit Nr. 2. - Stakeholder sehen Kollaboration als Arbeit, nicht als Privileg


Hinter dieser Wahrheit verbirgt sich noch eine andere. Zu einer erfolgreichen Bürger:Innenbeteiligung gehören mehr als nur die Bürger:Innen und die Verwaltungen. Es gibt einige andere Beteiligte, die über Erfolg oder Misserfolg Ihres Projekts entscheiden können - sei es intern (andere Abteilungen, der/die Bürgermeister:In) oder extern (Aktivist:innen, Wirtschaftsakteur:innen, Verbände). Sie brauchen diese Akteure, damit Ihr Projekt ein Erfolg wird.


Die meisten Ihrer Stakeholder:Innen sehen diese Zusammenarbeit nur als eine weitere Aufgabe auf ihrer ohnehin schon vollen To-Do-Liste. Ja, wir sind alle Demokrat:Innen, die bereit sind, für die Demokratie zu kämpfen - in der Theorie. Und sicher, die Stakeholder:Innen haben die Möglichkeit, das Projekt zu beeinflussen. Aber das ist Ihre Perspektive als Projektverantwortliche/r. Die eigentliche Frage der Beteiligten, die Sie beantworten müssen, lautet: "Warum sollte ich für Sie arbeiten?"


Glücklicherweise gibt es auch hier Möglichkeiten, dem entgegenzuwirken. Neben der in Wahrheit Nummer eins beschriebenen Heldenerzählung, verwenden wir zum Beispiel eine Mischung aus Stakeholder:Innen-Mapping und einer Persona-Methode, die wir speziell für Partizipations-Projekte angepasst haben.


Das Stakeholder:INnen-Mapping hilft Ihnen dabei, die Personen/Organisationen zu identifizieren, die zu mächtigen Verbündeten für Ihr Projekt werden könnten. Wir sortieren sie in der Regel nach " Einfluss" und "Einstellung zum Projekt". Beachten Sie, dass wir von potenziellen Verbündeten sprechen. Meistens ist es reine Zeitverschwendung, Ihre Feinde zu überzeugen. Es wird nicht funktionieren. Ihre Zeit und Mühe ist besser genutzt, wenn Sie sich auf diejenigen konzentrieren, die mit an Bord sein könnten, es aber noch nicht sind.


Nachdem Sie Ihre potenziellen Verbündeten ermittelt haben, lohnt es sich, über mögliche Motivatoren nachzudenken. Es gibt verschiedene Ansätze, aber als Anregung haben wir den folgenden verwendet. Wir haben mit dem Buyer-Persona-Modell begonnen, bei dem man versucht, einen Archetyp der Person zu erstellen, die man erreichen möchte. Man skizziert dazu deren Hoffnungen, Ängste und Wünsche. Da aber dieses Modell für geschäftliche Beziehungen gedacht und sehr detailliert ist, wird es unseren Beteiligungs-Bedürfnissen nicht ganz gerecht. Deshalb haben wir es an das bürgerschaftliche Engagement angepasst und es vereinfacht, damit unsere Kund:Innen nicht zu viel Zeit dafür aufwenden müssen. Im Kern geht es darum, diejenigen, die man überzeugen will, zu personifizieren, indem man über deren Ängste, Hoffnungen und Antriebskräfte nachdenkt. Diese Übung hilft dabei, Motivatoren für die kritischen Interessengruppen zu finden, die sie davon überzeugen sollen, an dem Projekt mitzuarbeiten.


Wahrheit Nr. 3: Ihr Erfolg ist 90% Marketing und 10% Beteiligung


Oft wird viel Aufwand betrieben, um einen schönen Beteiligungsprozess zu gestalten. Was sind die richtigen Formate? Top-down, bottom-up, oder beides? Welcher Zeitplan funktioniert am besten? Online- und/oder Offline-Beteiligung?


Dies sind alles sehr wichtige Punkte, aber unserer Erfahrung nach sind diese Fragen nicht die kritischsten.


Ganz gleich, ob es sich um die Bürger:Innen oder um die Interessengruppen handelt - es ist DIE entscheidende Etappe, wenn der Anreiz geschaffen wird, sich am Prozess zu beteiligen. Natürlich brauchen Sie einen guten Beteiligungsprozess, aber er wird nichts wert sein, wenn niemand kommt und mitmacht.


Daher müssen Sie sich auf die Vermarktung Ihres Beteiligungsprojekts konzentrieren, um es zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen.


Und das ist schwierig. Wie oft haben Sie schon Slogans gesehen wie "Jetzt mitreden bei..." "Debattieren Sie ... mit uns", oder sogar "Sie können jetzt mitmachen bei ...". Solche Anreize sind nur wirksam, wenn Sie wollen, dass niemand mitmacht.


Effektives Marketing ist schwierig. Neben einer guten Geschichte brauchen Sie starke Kernbotschaften und Slogans, die bei Ihrem Publikum ankommen. Sie müssen die wirkungsvollsten Kanäle ermitteln und vor allem müssen Sie konsistent sein.


Seien Sie sich bewusst, dass Ihr Projekt um generelle Aufmerksamkeit kämpft. Das bedeutet, dass Ihre Konkurrenz nicht nur andere Arten von Beteiligung sind. Sie müssen gegen große Marken auf Plakatwänden, Influencer in den sozialen Medien, Radiospots für das örtliche Einkaufszentrum und alle anderen Akteure antreten, die die Aufmerksamkeit der Bürger:Innen auf sich ziehen wollen.


Die gute Nachricht ist, dass Sie höchstwahrscheinlich ein Projekt haben, das sinnvoller ist als ein neues Paar Schuhe oder ein Netflix-Film. Sie müssen sich trotzdem anstrengen, damit Ihre starke Botschaft überhaupt eine Chance hat, Ihr Publikum zu erreichen. Das sind Ihre 90% Marketing.


Die Wahrheiten kontern und Synergieeffekte nutzen


Die drei unbequemen Wahrheiten über die Bürgerbeteiligung sind real. Wir haben sie so oft in Aktion gesehen, dass wir überzeugt sind, dass es naiv wäre, sie zu ignorieren. Glücklicherweise gibt es Möglichkeiten, ihnen entgegenzuwirken, ohne von den Aufgaben völlig überwältigt zu werden.


Außerdem können Sie von Synergieeffekten profitieren. Wenn man zum Beispiel die Erzählung in eine Heldengeschichte verwandelt, kann sich dies positiv auf klassischere Aspekte wie Vielfalt oder Barrierefreiheit auswirken.


Haben wir jetzt ein vollständiges Bild von erfolgreichen partizipativen Prozessen, nachdem wir die traditionellen Bereiche der Standardleitlinien und die unbequemen Wahrheiten kennen? Wahrscheinlich nicht. Das Leben ist zu komplex, um eine Checkliste zur Lösung aller Probleme zu haben. Ihr Projekt hat zusätzlich individuelle Aspekte, die berücksichtigt werden müssen. Und es gibt immer noch Teile in diesem Puzzle namens bürgerschaftliches Engagement, die darauf warten, gelöst zu werden. Aber die Strategien zur Lösung der unbequemen Wahrheiten fügen hoffentlich Elemente hinzu, die sich auf den Erfolg Ihres Beteiligungs-Projektes auswirken werden und somit eine Säule für eine wirkungsvolle und starke Bürgerbeteiligung darstellen.


Wenn Sie mehr über unsere Instrumente und Ansätze zur Überwindung unbequemer Wahrheiten erfahren möchten, zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Melden Sie sich unter engagement@civocracy.org.

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