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Ist Digitale BürgerInnenbeteiligung nur für junge Menschen?

Die Digitalisierung verspricht an vielen Stellen ein stressfreieres, sichereres und angenehmeres Leben - das gilt auch für den öffentlichen Sektor. Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob diese Entwicklung bestimmte Gruppen ausschließt. Besonders ältere Menschen scheinen gefährdet. Reflexhaft werden deswegen häufig digitale Angebote (und damit auch digitale BürgerInnenbeteiligung) abgelehnt. Wir aber glauben, dass gerade digitale BürgerInnenbeteiligung dabei helfen kann, digitale Kompetenz aufzubauen und Teilhabe zu verbessern.





Bei der Planung digitaler Beteiligungsprojekte, taucht immer wieder die gleiche Frage auf: Was ist mit älteren Menschen? Werden diese durch eine digitale Beteiligung nicht ausgeschlossen?


Für manche Menschen ist die Einführung einer BürgerInnenbeteiligungsplattform ein Zeichen dafür, dass Fortschritt auch immer bedeutet, dass die Bedürfnisse bestimmter Gruppen auf der Strecke bleiben.


Wir wissen alle um die Frustration, die neue digitale Services bei Menschen auslösen können, die weniger technologie-affin sind. Wenn ehemals erprobte Prozesse wie der Kauf eines Zugtickets oder die Planung einer Reiseroute auf einmal bedeutet, dass man sich durch ungewohnte und nicht immer klare digitale Anwendungen kämpfen muss, kann das zu Stress, Unsicherheit und einem Gefühl des “nicht-dazu-gehörens” führen.


Vor allem für den öffentlichen Sektor ist das ein Problem. Denn es ist dessen Aufgabe, die eigenen Dienstleistungen für alle Bürger einfach zugänglich zu machen.


Häufig ist die Schlussfolgerung in den Verwaltungen, dass Projekte wie eine digitale BürgerInnenbeteiligung mit extremer Vorsicht behandelt werden sollten und sie tendieren dazu, diese vermeintlich heiße Eisen nicht anzufassen.


Alles aus der Angst heraus, ältere Menschen aus der Beteiligung auszuschließen. Aber kann sich der öffentliche Sektor diese Haltung in einer mehr und mehr digitalisierten Welt noch leisten?


Die Nutzung neuer Technologien ohne dabei bestimmte Gruppen auszuschließen ist ein Balanceakt und einer der größten Herausforderungen für jede Regierung von der Dorfgemeinschaft bis zum Bund.


Der technologische Fortschritt eröffnet neue Möglichkeiten und natürlich möchten auch Regierungen und Verwaltungen davon profitieren. Gleichzeitig besteht gerade im öffentlichen Sektor häufig ein tiefsitzendes Unbehagen gegenüber der Digitalisierung. Besonders auffällig ist dieser Widerstand in Deutschland, wo die digitale Transformation besonders schleppend in Gang kommt.


Aus den Gesprächen mit den Menschen in den Verwaltungen haben wir gelernt, dass die Widerstände meistens aus einer Mischung von drei Punkten bestehen: Ungenügende Ausstattung, bürokratische Hürden und die Angst bestimmte Gruppen, speziell ältere Menschen, aus dem öffentlichen Leben auszuschließen.


Die Gefahr, dass die Digitalisierung bestimmte Teile der Gesellschaft außen vor lässt, wird “digital divide” oder “digitale Kluft” genannt. Tatsächlich zeigen diverse Studien, dass sich die Schere zwischen jung und alt immer weiter öffnet, wenn es um den Zugang und die Nutzung moderner Technologie geht.


Neben dem Alter spielen aber noch weitere Faktoren wie Bildung, sozio-ökonomischer Status und Migrationshintergrund eine wichtige Rolle. Wenn diese Herausforderung nicht angegangen wird, verschärft sich diese Ungleichheit immer weiter, nimmt durch den technologischen Wandel sogar noch an Schärfe zu und erhöht entsprechend die Hürden für die marginalisierten Gruppen noch weiter.


Schließt eine stärkere Nutzung digitaler Werkzeuge automatisch ältere Menschen aus?


Bei Civocracy haben wir unzählige Stunden an dieser Frage diskutiert. Wir sind Enthusiasten wenn es um zivilgesellschaftliches Engagement geht und entsprechend sehen wir es als unsere Aufgabe, Regierungsarbeit für alle Menschen leichter verständlich und zugänglich zu machen. Wenn digitale Technologie automatisch dazu führt, dass bestimmte Altersgruppen benachteiligt werden, würde das unser Selbstverständnis berühren.


Wir glauben aber, dass Technologie und Benachteiligung nicht zwangsläufig miteinander einhergehen.


Im Gegenteil: eine digitale BürgerInnenbeteiligungsplattform kann sogar ein effektiver Weg sein, die digitale Kluft zu verringern und die Gesellschaft ein wenig inklusiver zu gestalten. Man muss es nur richtig machen.


Wir haben fünf Eckpunkte formuliert, die die Planung jedes digitalen Beteiligungsprojekts beeinflussen sollten.


1. Ein neuer Fokus: die Bedürfnisse der älteren Generation verstehen


Wie wir gesehen haben, ist die Sorge einer Benachteiligung bestimmter Gruppen in Zuge der Digitalisierung berechtigt. Wenn man sich aber zu sehr durch diese Sorge leiten lässt, ignoriert man, dass die Problematik bereits existiert. Digitalisierung ist schon jetzt Teil unseres Lebens. Wir müssen also versuchen die digitale Kluft zu schließen anstatt digitale Initiativen zu verhindern.


Wir brauchen einen Plan, um sicherzustellen, dass alle BürgerInnen zumindest ein Mindestmaß an digitalen Fähigkeiten besitzen.


Zusätzlich sollten wir alle Bedürfnisse jeder Gruppe (also auch die der älteren Generationen) betrachten und uns nicht auf die Auswirkungen einzelner Faktoren wie der Digitalisierung beschränken. Denn auch abseits der Herausforderungen der Digitalisierung befinden sich ältere Menschen häufig in einer verhältnismäßig isolierten Situation. Auch wenn das Problem der Einsamkeit laut Wissenschaft alle Altersklassen in Europa betrifft, sind es doch besonders häufig alte Menschen, die in sozialer Isolation leben.


Wenn wir also dafür kämpfen, den Status Quo zu erhalten indem wir Digitalisierungsmaßnahmen pauschal ablehnen, ignorieren wir nicht nur das generelle Isolations-Problem, wir riskieren auch, mögliche Gegenmaßnahmen zu übersehen.


Denn digitale Technologie hat das Potential Menschen miteinander zu verbinden indem es Probleme wie Mobilität oder nachlassendes Gehör überbrückt. Die Digitalisierung könnte die Beteiligung älterer Menschen also sogar vereinfachen.


Wenn wir unseren Fokus ein wenig verschieben, werden die zwei wirklich entscheidenden Ziele deutlich: der älteren Generation wenn nötig dabei zu helfen, digitale Anwendungen zu verstehen und sie stärker in das öffentliche Leben mit einzubeziehen.


2. Unterschätze die Alten nicht


Die Voraussetzung für eine Unterstützung älterer Menschen beim Umgang mit digitaler Technologie ist die Bereitschaft dieser Menschen, es zumindest auszuprobieren.


Und obwohl sich der Mythos hartnäckig hält, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Alter und der Technik-Affinität gibt, zeichnen die Zahlen, ein differenzierteres Bild.


In der EU fiel der Anteil der Menschen der Altersgruppe 65-74, die nie einen Computer benutzt haben in den letzten 10 Jahren von 68% auf 40%.


Und bei den über 70-jährigen hat sich der Anteil der Internetnutzer in sechs Jahren auf über 50% verdreifacht. In Deutschland nutzen 80% der 60-69 jährigen digitale Werkzeuge.

Dies zeigt, dass die Bereitschaft, die eigenen digitalen Fähigkeiten zu verbessern bei den älteren Generationen durchaus vorhanden ist.





Aber an dieser Verbesserung muss auch gearbeitet werden. 2017 hatten fast ein Drittel aller EU-Bürger überdurchschnittliche digitale Fähigkeiten. Aber das galt nicht für ältere Generationen. Bei den 55-64 jährigen waren es nur 16%, bei den 65-74 jährigen sogar nur 7%.


Mit fortschreitender Digitalisierung riskieren wir also, diejenigen mit geringeren digitalen Fähigkeiten zu verlieren und sie aus dem öffentlichen Leben teilweise auszuschließen.


3. Digitale Anwendungen und Präsenzveranstaltungen gehen Hand in Hand.


Die Bereitschaft zum ausprobieren ist also da. Aber wie können ältere Menschen konkret digitales Selbstvertrauen entwickeln? Online BürgerInnenbeteiligungsplattformen können ein optimaler Startblock sein.


Denn eine wirksame BürgerInnenbeteiligung kombiniert immer on- und offline. Dieser Ansatz macht sie zum idealen Rahmen, um bestimmte Gruppen passgenau anzusprechen und zur Teilnahme zu bewegen.


Initiativen, die ältere Menschen dabei unterstützen, digitale Angebote zu nutzen, können problemlos in ein digitales Beteiligungsprojekt implementiert werden. Und das hilft nicht nur der älteren Generation, es hilft auch dem Projekt.


Unzählige Beispiele zeigen, dass dieser Ansatz funktioniert. Auf der ganzen Welt haben verschiedene Partizipations-Projekte Bürger zusammengebracht, um deren digitale Fähigkeiten zu verbessern und auch älteren Menschen den Prozess und die Möglichkeiten näherzubringen.


Zum Beispiel startete 2015 die Stadt Den Haag ihre Kampagne “Everybody digital” in deren Rahmen speziell die ältere Generation über die Vorteile aber auch die Notwendigkeit der Digitalisierung informiert und zu Meetings und Kursen eingeladen wurde, um die eigenen Fähigkeiten zu verbessern.


In Frankfurt wurde ein Internetcafé eröffnet in dem Freiwillige den Senioren dabei helfen, sich in der Online-Welt zurechtzufinden. Dieser Lernraum hat vielen Menschen dabei geholfen, sich mit der digitalen Sphäre anzufreunden.


Während dem Civocracy-Projekt in Montpellier ergriff ein Einwohner die Initiative und gründete eine Gruppe um älteren Menschen bei der Nutzung der Plattform zu helfen.


Welche offline Aktivitäten die digitale Beteiligung begleiten sollten, hängt von den speziellen Gegebenheiten des Projektes ab. Aber auf jeden Fall sollte diese Möglichkeit genutzt werden, um auch die ältere Generation zu beteiligen.


4. Identifizieren Sie Themen, die ältere Menschen betreffen


Eine BürgerInnenbeteiligungsplattform steht jedem offen. Gleichzeitig kann sie auch dafür genutzt werden, eine spezielle Gruppe zu adressieren und mit den Mitgliedern einen Dialog über Themen zu führen, die sie besonders betreffen. Dies führt umgekehrt dazu, dass man die Perspektive, das Wissen und die Bedürfnisse dieser Gruppe genau kennenlernt.


Für ältere Menschen könnten Fragen relevant sein wie: Würden Sie sich gerne mehr in der Freiwilligenarbeit engagieren und wenn ja, wie? Welche Stadtentwicklungsmaßnahmen sind für sie die wichtigsten und warum?


Zusätzlich bieten online Partizipationsplattformen die Möglichkeit, Menschen und Gruppen miteinandern zu vernetzen, die normalerweise nicht in Kontakt stehen. Das Kennenlernen anderer Perspektiven stärkt die Empathie füreinander und so auch die Gemeinschaft.


5. Stellen Sie eine nutzerfreundliche Bedienung sicher


Jede wirksame digitale Beteiligungsplattform sollte grundsätzlich einfach zu bedienen sein. Um ältere Menschen anzusprechen, sollte man noch einen Schritt weiter gehen. Die Lesbarkeit von Schriftarten, starker Farbkontrast und besonders leicht zu entdeckende Grundfunktionalitäten spielen hier eine Rolle.


Die digitale Transformation so zu meistern, dass niemand durch die Entwicklung ausgeschlossen wird, ist einer der wichtigsten Herausforderungen für den öffentlichen Sektor. Speziell in Europa wird diese Aufgabe durch den demographischen Wandel extrem drängend.


Die Digitalisierung von öffentlichen Dienstleistungen deswegen nicht voranzutreiben wäre aber die falsche Antwort auf diese Herausforderung. Stattdessen sollte das digitale Verständnis und Selbstvertrauen aller Gruppen erhöht werden während gleichzeitig Maßnahmen für mehr Möglichkeiten zur Teilhabe umgesetzt werden.


Digitale Beteiligungsprojekte können hier einen idealen Rahmen bieten und sollten als Chance für diejenigen wahrgenommen werden, die bisher mit digitalen Angeboten ihre Probleme haben.


Interessieren Sie sich für das Thema digitale Inklusion? Sprechen Sie uns an unter roland@civocracy.org

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