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  • AutorenbildRoland

Die Pandemie hat die Bürger*Innenbeteiligung digitalisiert - worauf man jetzt achten muss



Die Pandemie hat die Bürger*Innenbeteiligung verändert. Sie hat die Digitalisierung der Partizipation enorm beschleunigt. Sowohl durch die immer wieder wegfallende Möglichkeit von Präsenzveranstaltungen als auch durch eine gesteigerte Bereitschaft der Entscheidungsträger*Innen, schnelle Entscheidungen zu treffen.


Digitale Bürger*Innenbeteiligung gab es auch vor Covid. Aber die Entwicklung war langsam. Im Wesentlichen waren es Großstädte, besonders fortschrittliche Gemeinden und einige wenige (Regierungs-)organisationen, die ernsthaft digitale Beteiligungsmöglichkeiten angeboten haben. Corona hat das geändert. Egal ob freiwillige oder Pflichtbeteiligung: wer einbinden möchte, muss digital werden. Digitale Bürger*Innenversammlungen, digitale Umfragen und sogar ein digitaler Bürgerrat sind die Folge.


Da die Pandemie eine globale Herausforderung ist, sind auch die Folgen nicht auf Deutschland beschränkt. Eine im vergangenen Jahr erschienene OECD Studie bestätigt den subjektiven Eindruck - es wird in ganz Europa so digital beteiligt wie niemals zuvor.


Die Pandemie ist eine Sondersituation. Der Fokus auf die digitale Beteiligung wird nachlassen. Aber die Erfahrungen, die gesammelt wurden, werden hängen bleiben. Es ist davon auszugehen, dass die digitale Beteiligung durch die Pandemie aus den „Kinderschuhen“ herauswächst. Zumindest was die Verbreitung angeht.


Aber für die Qualität der Projekte gilt das nicht.


Denn wenn man sich ansieht, welche digitalen Formate genutzt werden, wird klar, dass wir noch zu sehr in einer analogen Denke stecken.


Digitale Beteiligung darf nicht die online Umsetzung von offline sein


In der digitalen Bürger*Innenbeteiligung werden zwar digitale Werkzeuge genutzt, aber noch nicht digitalisiert gedacht. Wir denken weiterhin analog. Deswegen wird häufig der gewohnte offline Prozess 1zu1 in die digitale Welt verlegt.


Es kann keine Bürger*Innensprechstunde stattfinden? Wir treffen uns auf Zoom. Der Workshop muss ausfallen? Wir treffen uns auf Zoom. Wir wollen über Bebauungspläne diskutieren? Wir treffen uns auf Zoom.


Die Schwächen sind bekannt. Die sprichwörtliche Energie im Raum fehlt. Schnell ist man abgelenkt. Auch weil man sich unbeobachtet fühlt und die Konzentration fehlt. Es gibt sogar ein eigenes Wort für dieses Phänomen: “Zoom-Fatigue” Das geht jedem so - von Bürger*Innen bis zu Ministerpräsidenten.


Die diversen Videokonferenzanbieter versuchen mit neuen Funktionen wie “Break-Out-Rooms” entgegenzusteuern aber diese lösen das Problem nur teilweise.


Dazu kommen häufig noch Einrichtungs- oder Verbindungsprobleme. Es ist ein Running-Gag, dass die häufigsten Sätze in Videokonferenzen “Kann man mich hören?”, “Du bist auf stumm” und “Wir sehen Dich nicht” lauten.


Zusätzlich ist das Format Videokonferenz unflexibel. Wer zur Veranstaltungszeit vor dem Computer sitzen kann, darf sich beteiligen. Wer andere Verpflichtungen hat (Arbeit, Kinder) wird ausgeschlossen. Entsprechend gleichen sich die Teilnehmer*innen der Videokonferenzen und der offline Veranstaltungen. Vielfältig ist diese Zusammensetzung meistens nicht.


Das bedeutet nicht, dass Videokonferenzen in einem Beteiligungsprozess keine Rolle spielen können oder dürfen. Aber es muss darauf geachtet werden, dass eine Maximaldauer nicht überschritten wird und dass sie flankiert werden von anderen Formaten, in denen sich die Menschen einbringen können.


Aber Videokonferenzen sind nicht das einzige Werkzeug, dass häufig einfach nur die offline Welt spiegelt. Gleiches gilt auch für das Werkzeug digitales Diskussions-Board. Das ist eine Webanwendung, bei der Menschen Beiträge schreiben können und andere Nutzer:Innen diese dann kommentieren oder z.b. Per Emoji auf sie reagieren können. Also im Wesentlichen das, was man aus digitalen Diskussionsforen oder auch Social Media kennt.


Dieses Werkzeug hat auch große Vorteile. Die Diskussion kann asynchron stattfinden, ist also nicht an feste Zeiten oder Orte gebunden. Man kann beliebig viele Informationen verlinken und für alle zugänglich machen. Man kann mit Text, Video, Bild und Ton gleichzeitig arbeiten, je nachdem, welches Medium am sinnvollsten ist.


Dank Übersetzungsprogrammen werden Sprachbarrieren überwunden und mithilfe von NLP kann Teilnehmer*innen geholfen werden, sich auszudrücken.


Oft wird also statt der Bürgersprechstunde eine digitale Diskussion eröffnet. Fast immer funktioniert dieses Vorgehen aber auch nicht. Weil analog gedacht wird.


Die konstruktive Unterhaltung vieler verschiedener Menschen miteinander erfordert Zeit, Empathie und Konzentration. Das ist schon offline bzw. In einem Meeting schwer genug. Aber wenn man zumindest alle Menschen an einem Ort versammelt hat und sich in die Augen sieht, wird es etwas einfacher. Ein gute Moderation kann dabei unterstützen, dass selbst zurückhaltende Stimmen zu Wort kommen. Und dennoch funktioniert es auch offline häufig genug nicht zufriedenstellt.


In einem digitalen Diskussions-Board ist das Format noch schwieriger umzusetzen. Die Wenigsten nehmen sich wirklich Zeit und fokussieren sich auf die Debatte. Das Ergebnis kennen wir alle: entweder die Diskussion kommt nicht in Fahrt oder sie wird schnell unsachlich, weil die Menschen Ihre Meinung loswerden wollen, aber nicht zuhören und miteinander sprechen.


Auch hier ist das Problem: ein analoges Format wird digitalisiert, ohne darüber nachzudenken. Natürlich kann eine Diskussion in einem Diskussions-Board sinnvoll sein. Aber dazu muss erst klar sein, ob genügend Menschen Interesse haben und engagiert genug sind, um dieses Format, das eher hohe Eintrittshürden mit sich bringt, zu nutzen.


Digitale Communities brauchen ein digitales Mindset

Wer digitale Bürger*Innenbeteiligung macht, muss also digital denken. Aber was heißt das?

Es bedeutet, die Regeln der Digitalisierung zu erkennen und für sich zu nutzen. Der Dreh- und Angelpunkt: ein leichter Zugang. Denn es gilt sich durchzusetzen.


Wer sich im Internet bewegt, wird geradezu überschüttet mit Angeboten und Informationen. Entsprechend kurz ist die Zeit, die wir bereit sind, uns mit dem einzelnen Angebot zu beschäftigen. Die durchschnittliche Verweildauer auf einer Website beträgt gerade einmal 40 Sekunden. Das zeigt: wer hohe Hürden baut und schon vom Start weg viel Zeit einfordert, wird es schwer haben, Nutzer:Innen zu halten. Entsprechend muss der Einstieg in die Beteiligung besonders leicht sein. Das gilt sowohl für die Information/ Kommuniikation als auch für die Beteiligung.


Die gute Nachricht: hier spielt uns die Digitalisierung in die Hände.


Informationen können auf verschiedenen Ebenen bereitgestellt werden - die erste sichtbare Ebene kann und muss entsprechend kurz und knackig gehalten werden, während die weiteren Ebenen die Vollständigkeit der Informationen gewährleistet. So trivial sich das anhört: die Praxis sieht fast immer anders aus. Stichwort: death by information. Alle Informationen werden auf der ersten Seite bereitgestellt. Die Folge: die Bürger:Innen surfen auf eine andere Seite. Wer stattdessen nur kurz umreißt, worum es geht und warum es wichtig ist, wird schnell merken, wie das Interesse an der Kommunikation wächst.


Auch bei der Einbindung der Menschen bietet die digitale Welt unschlagbare Vorteile . Es muss nicht mehr alles auf einmal passieren. Dazu ein konkretes Beispiel: im digitalen Raum ist es ganz normal, Fragebögen von drei oder vielleicht sogar nur einer Frage zu erstellen. Was in der alten Welt ein unüberschaubarer Aufwand wäre, ist jetzt ein Beschleuniger. Wer nur eine Frage an die Bürger:Innen hat, mobilisiert ein vielfaches an Teilnehmer:Innen im Vergleich zu den bekannten 25 Fragen über alle Aspekte. Dank dieser Fragmentierung kann mit mehreren aufeinanderfolgenden Fragebögen zielgruppen- und themenspezifisch abgefragt und so die Menschen immer wieder aufs neue aktiviert werden.


Ein weiterer Vorteil der digitalen Welt ist die Möglichkeit, eine echte Gemeinschaft um ein Thema zu bilden. Denn wenn die Kommunikation und Einbindung gut umgesetzt wird, kommen die Menschen immer wieder. Es läuft nicht auf die 1-3 großen Treffen, die Bürgerversammlungen oder das Zoom-Meeting hinaus. Es ist ein konstanter Strom von Informationen in beide Richtungen, der das Gemeinschaftsgefühl stärken kann und so zu einer Allianz rund um das Projekt wird. Hier ist ebenfalls ein Paradigmenwechsel nötig. Die Art, wie rund um Projekte kommuniziert wird, muss sich in der digitalen Welt ändern. Die reine Aktualisierung des Projekt-Status (die auch wichtiger Bestandteil der Kommunikation sein muss) bildet keine Gemeinschaft. Stattdessen sollte das Thema des Projektes breiter und in kleinen Schritten beleuchtet werden. Die Menschen hinter dem Projekt können sichtbar werden. Oder spielerische Elemente rund um das Projekt, wie zum Beispiel ein Quiz können genutzt werden, um die Gemeinschaft weiter zu stärken.


Der letzte Punkt ist die Möglichkeit im digitalen Raum, viel genauer zu messen, was funktioniert und was nicht. Das gilt sowohl für Kommunikation als auch für die Einbindung. Natürlich ergibt es Sinn, sich am Anfang eines Projektes einen Plan zu machen, wann man welche Formate nutzt. Aber zusätzlich braucht es eine Agilität im Vorgehen. Wenn klar wird, dass die Bürger*Innen offensichtlich viel aktiver in der Ideenfindung als bei schnellen Abstimmungen sind, dann sollte dies die Planung beeinflussen. Man sollte dann prüfen, ob es die Möglichkeit gibt, noch zusätzliche Ideengenerierungs-Formate einzubauen. Die Basis dafür sind die Daten, was funktioniert und was nicht. Und die Digitalisierung hilft dabei, genau diese Daten in Echtzeit zu erheben.


Diese vier Felder - gestaffelte Kommunikation, leichte, kurzweilige Einbindung, die Bildung einer Gemeinschaft und Agilität im Vorgehen - sind nicht die einzigen Punkte, die durch die Digitalisierung der Bürger*Innenbeteiligung verändert werden. Aber es sind sicher zentrale Punkte und ein guter Start für alle Überlegungen rund um Kommunikation und Einbindung bei öffentlichen Projekten.


Die Zukunft ist hybrid - digitale und analoge Formate kombinieren


Irgendwann werden wir wieder in der Lage sein uns wieder zu treffen und altbewährte Formate wieder aufzunehmen.


Und bei allem Enthusiasmus für die Möglichkeiten der digitalen Beteiligung: Das sollten wir auch tun. Eine rein digitale Bürger*Innenbeteiligung ist nicht die perfekte Lösung.


Denn gerade wenn man die Stärken der Digitalisierung nutzt, lässt man die Stärken der offline Beteiligung außer acht. Dazu gehören Punkte wie die “Energie” im Raum, das ad Hoc arbeiten in Kleingruppen, die Möglichkeit sich einfacher auf ein bestimmtes Thema zu fokussieren und die vereinfachten Wege, Vertrauen zwischen den Teilnehmern herzustellen.


Außerdem ist es auch eine Frage der Präferenz und der Möglichkeiten, ob die einzelnen Bürger*Innen sich eher digital oder eher analog beteiligen. Echte Vielfalt erreicht man also nur durch on- und offline.


Die offline Versammlung ist nach wie vor ein schwer zu ersetzendes Instrument und sie sollte weiterhin Bestandteil der Werkzeuge der Kommunikation und Einbindung sein.


Sicher ist aber auch: die Zukunft wird immer digitaler. Ohne das digitale Mindset und die Erfahrung in der digitalen Kommunikation und Einbindung wird es nicht gehen. Und die Herausforderungen unserer Zeit, allen voran der Klimawandel, brauchen gesellschaftliche Allianzen, um bewältigt zu werden.


Es wird also Zeit alte Zöpfe abzuschneiden und sich in neues Terrain vorzuwagen. Eine neue Art der Kommunikation und der Einbindung ernsthaft zu verfolgen, zu experimentieren, mutig zu sein und Dinge in Frage zu stellen.


Wenn Sie dabei Hilfe brauchen oder Ideen haben, wie Kommunikation und Einbindung im digitalen Raum digital gedacht werden kann, melden Sie sich - roland@civocracy.org

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