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Respektvoller Umgang in digitalen Diskussionen - (auch) eine Frage des Designs

In der Theorie haben Online-Diskussionen riesiges Potential. Sie sind nicht an Ort, Zeit oder Hintergrund der Diskutanten gebunden. Dank Übersetzungsprogrammen spielt sogar die Sprache eine immer geringere Rolle. Sie erlauben die Einbindung einer Vielzahl von Perspektiven. Entsprechend könnten Sie das Werkzeug sein, die wirklich großen Herausforderungen gemeinsam anzugehen.


Die Realität sieht oft anders aus. Online-Diskussionen stehen in dem Ruf, aggressiv, respektlos und unkonstruktiv zu sein. Und das auch nicht ganz zu Unrecht.

Häufig wird in digitalen Foren nicht miteinander diskutiert. Stattdessen äußern viele UserInnen die eigene Meinung, ohne auch nur zu versuchen, die Gegenseite zu verstehen. Dieser Teil der Userschaft ist so laut, dass sich mit der Zeit die User, die konstruktiv diskutieren würden, verabschieden. Übrig bleiben die aggressivsten Diskutanten und die Atmosphäre vergiftet sich weiter.


Jeder von uns hat genau das schon erlebt.


Woran liegt es, dass diese Spirale immer wieder aufs Neue beginnt? Es wäre einfach, hier den Usern den alleinigen schwarzen Peter zuzuschieben. Wenn sich die Menschen nur ordentlich benehmen würden, könnte man auch konstruktiv diskutieren.


Dieser Lösungsansatz ist einfach und verführerisch. Aber er erzählt nicht die ganze Wahrheit.


Denn es liegt auch in der Hand der Entwickler, wie konstruktiv eine Diskussion abläuft. Stelle ich eine digitale Umgebung zur Verfügung, in der man konstruktiv diskutieren kann oder entwickle ich eine Plattform, die konstruktives Verhalten fördert und belohnt?


Baue ich einen runden Tisch oder einen Boxring?





Besonders wichtig wird dieser Punkt beim Thema (digitale) Bürger:Innenbeteiligung. Hier ist Konstruktivität kein “nice to have” sondern der wichtigste Punkt.


Leider machen sich aber zu wenige Regierungen und Verwaltungen Gedanken darüber, wie man ein digitales Angebot so designt, dass es konstruktives Verhalten fördert. Das ist kein böser Wille. Häufig fehlen schlicht die Erfahrung und die Sensibilität für solche Fragen.

Stattdessen macht man es sich einfach und kopiert die Diskussions- und Interaktionsriesen wie Facebook, Instagram, Twitter & Co.. Diese sind Experten darin, maximale Interaktion zu generieren. Mit Konstruktivität hat das aber wenig zu tun.


Ein Like-Button ist eine einfache Art, die eigene Meinung zu äußern. Aber sind wirklich die Beiträge mit den meisten Likes auch die relevantesten?


Über den Wert der Information im Plattformdesign haben wir in einem früheren Artikel bereits geschrieben. Neben der informierten Debatte ist allerdings noch ein Punkt entscheidend für eine konstruktive Diskussion: Respekt.


Der Respekt voreinander, auch wenn man unterschiedliche Standpunkte vertritt, ist essenziell für eine konstruktive Zusammenarbeit. Gerade wenn man sich, wie bei online-Diskussionen häufig der Fall, nicht kennt und sich nicht in die Augen sehen kann, ist ein durchgängig respektvoller Umgang miteinander wichtig.


Im Fall der digitalen Bürger:Innenbeteiligung wird dieser ohnehin schon komplexe Punkt zusätzlich erschwert. Hier braucht es nämlich Respekt auf zwei unterschiedlichen Ebenen: zwischen den Usern einerseits und zwischen Usern und der Regierung andererseits.


Respekt zwischen Usern auf digitalen Beteiligungsplattformen


Ob ein User respektvoll oder respektlos auftritt, entscheidet sich häufig schon in den ersten Minuten, in denen er einen digitalen Diskussionsraum betritt. Er oder sie wird sofort aufnehmen, welcher Ton herrscht und sich zumindest ein Stück weit anpassen.


Das funktioniert offline nicht anders - in einem Konzertsaal sprechen und verhalten sich die Menschen anders als sie es in einem Bierzelt tun würden.


Ein “konstruktiver” Sortieralgorithmus


Um also den Nutzer:Innen sofort eine konstruktive Atmosphäre zu vermitteln, ist es entscheidend, welche Art von Beiträgen sie als erstes zu Gesicht bekommen. Der Sortieralgorithmus spielt also eine gewichtige Rolle. Eine Sortierung nach den neuesten Beiträgen, den beliebtesten oder den meist kommentierten wird hier nicht helfen - im Gegenteil. Häufig sind es gerade respektlose Beiträge, die heftige Reaktionen in Form von Likes und Kommentaren hervorrufen und durch einen solchen Sortieralgorithmus belohnt werden.


Man benötigt also einen Sortieralgorithmus, der konstruktive Beiträge bevorzugt. Diesen zu definieren, ist komplex. Wer entscheidet, ob ein Beitrag konstruktiv ist und wie werden die konstruktiven Beiträge untereinander gewichtet? Hier kann es unterschiedliche Antworten geben und man wird keine perfekte Lösung finden können. Aber deswegen das Thema nicht anzugehen wäre die schlechteste aller Lösungen. Im Fall von Civocracy markiert der/die Themengeber:In der Diskussion als konstruktiv und diese Markierung fließt in den Sortieralgorithmus hinein, ist aber nicht die einzige Komponente.


Moderation und Code of Conduct


Die zweite Komponente ist die Moderation. Hier geht es vor allem darum, besonders respektlose, unpassende oder sogar illegale Kommentare aus der Diskussion zu entfernen. Dies darf aber nicht willkürlich geschehen oder wirken. Es muss klare Regeln geben, die allen User:Innen bekannt sind. Nur nach diesen Regeln sollte moderiert werden - transparent und nachvollziehbar.


Der Formulierung dieser Regeln kommt also eine besondere Bedeutung zu. Entsprechend wichtig ist ein leicht verständlicher und verbindlicher Code of Conduct.


Diese Spielregeln zu formulieren ist herausfordernd. Sie müssen prägnant aber nicht oberflächlich, konkret aber auch umfassend sein. Entsprechend “lebt” ein guter Code of Conduct auch. Es gehört zum Lernprozess dazu, die Verhaltensregeln zu verändern und zu optimieren. Das gilt auch für den Civocracy Code of Conduct, der aus 10 goldenen Regeln besteht.


Eine neue Form der “Likes”


Die kleinste und einfachste Form der Interaktion in online Diskussionen ist das “Liken” - also die Unterstützung eines Beitrages per Knopfdruck. Sie wirkt wie eine Einstiegsdroge. Erst liken, dann kommentieren, dann selbst posten.


Entsprechend ist diese Funktion so attraktiv, dass es schwierig ist, sie aus digitalen Diskussionsräumen wegzudenken. Aber perfekt ist sie auch nicht. Ein Like fördert die Diskussionskultur nicht. Es lohnt sich also, auch diese Funktion auf den Prüfstand zu stellen und zu fragen: wie sähe eine Like-Funktion bzw. mehrere Funktionen aus, die konstruktives, respektvolles Verhalten fördern?


Bei Civocracy arbeiten wir gerade an unserer Lösung für dieses Problem. Wir testen gerade verschiedene Modelle. Im Rennen sind unter anderem ein “Konstruktiv”-Like, ein “Ich bin anderer Meinung aber verstehe Deinen Punkt” Like oder ein “Interessanter Punkt aber am Thema vorbei” Like.


Respekt der Regierung gegenüber den Nutzer:Innen auf digitalen Beteiligungsplattformen


Eine Plattform zu entwickeln, die konstruktives und respektvolles Verhalten zwischen den User:Innen fördert, ist eine riesige Herausforderung.


Im Falle der digitalen Bürger:Innenbeteiligung kommt noch eine weitere Ebene hinzu - der Respekt zwischen User:Innen und der Regierung bzw. der Verwaltung.


Dieser Teil ist besonders schwierig. Das Vertrauensverhältnis zwischen Regierungen und den Bürger:Innen ist häufig sehr fragil. Schon kleine Unaufmerksamkeiten können als Respektlosigkeit wahrgenommen werden. Darauf muss eine Regierung vorbereitet sein und entsprechend präzise und respektvoll kommunizieren.


Aber dazu kommt noch, dass die Regierung bzw. die Verwaltung in der Bürger:Innenbeteiligung eine spezielle Rolle spielt - sie muss präsent sein, ohne sich zu sehr einzumischen.


Die Regierung muss sichtbar bleiben


Leider wird in vielen digitalen Beteiligungsprojekten häufig nur der zweite Teil der Rolle beherzigt. Die Regierung oder Verwaltung gibt ein Thema vor, lässt die Bürger:Innen diskutieren, reagiert ggf. Auf Fragen und ist sonst weitestgehend unsichtbar.


Für die Bürger:Innen wirkt es so, als würde ihnen niemand zuhören. Dabei liest die Regierung meistens sehr aufmerksam mit. Aber das Softwaredesign liefert keine Möglichkeit, dies sichtbar zu machen.


Es gibt verschiedene denkbare Möglichkeiten, dieses Problem zu lösen. Wir haben uns bei Civocracy am berühmten “blauen Haken” von WhatsApp orientiert.


Wenn auf der Civocracy-Plattform ein/e VerwaltungsmitarbeiterIn einen Beitrag gelesen hat, wird dieser automatisch und für alle sichtbar als “gelesen” markiert. So sehen die Nutzer:Innen, dass die Regierung bzw. Verwaltung präsent ist, mitliest und zuhört.


Die Regierung im Zusammenspiel mit den Usern


Sichtbar und merkbar zuzuhören und mitzulesen ist die Basis für einen respektvollen Umgang zwischen Regierung und Bürger:Innen. Aber gerade weil das Vertrauensverhältnis so fragil ist, lohnt es sich, über weitere Wege nachzudenken, wie ein Plattformdesign den Respekt füreinander fördern kann.


Auf der Civocracy Plattform gibt es hier das “Konstruktiv-Badge”. Die Regierung hat die Möglichkeit, Beiträge für alle User sichtbar als konstruktiv zu markieren. Dies ist keine Meinungsäußerung der Administration, sondern eine möglichst objektive Beurteilung über die Form des Beitrags.





So bezeugt die Regierung Respekt gegenüber den User:Innen, die sich die Mühe gegeben haben teilzunehmen ohne dabei den Inhalt zu bewerten und so die Diskussion zu lenken.

Zusätzlich spielt er auch noch in unseren Sortieralgorithmus hinein. Nur wer auf den eigenen Beitrag viele “Likes” der Community und das “Konstruktiv-Badge” der Regierung vereint, wird bei der Sortierung nach Relevanz ganz oben stehen.


Bei Civocracy entwickeln wir unsere Plattform stetig weiter. Dazu werten wir unsere eigenen Daten aus und verfolgen die akademische Forschung zu diesem Thema.


Aber wir erheben nicht den Anspruch, dass unser Plattformdesign das einzig mögliche ist, um einen respektvollen Umgang zu fördern. Es kann auch andere Wege und andere Ansätze geben, um eine digitale Umgebung zu entwickeln, in der vertrauensvoll miteinander gearbeitet wird.


Entscheidend ist, dass dieses Thema bei der Entwicklung ernst genommen und bei der Entwicklung von digitalen Lösungen beachtet wird. Denn nur wenn das Design stimmt, hat die konstruktive digitale Zusammenarbeit eine Chance.


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